»Konkrete Kunst präsent mit Ina von Jan«

von Eugen Gomringer, 2010

Ein guter Beobachter der Konkreten Kunst, die unter verschiedenen Bezeichnungen auf rund hundert Jahre Entwicklung zurückblicken kann, hat unlängst festgestellt, dass ihre Bekanntheit sich in der Form zweier Kreise darstellen lässt, nämlich durch einen inneren Kreis, der voller Leben und geistiger Interessen zahlreiche Künstler und Kunstenthusiasten in aller Welt miteinander verbindet, und durch einen äußeren Kreis, wo schon allein der Begriff „Konkrete Kunst“ nur selten in Gebrauch ist und genauere Kenntnisse der Inhalte verloren gegangen sind. Wer dem inneren Kreis zugehörig ist, kann sich mit einer solchen Aufteilung der Kunstwelt nicht zufrieden geben. Ist es realitätsfremd, die Unkenntnis von Existenz und hundert Jahren Entwicklung nicht zu akzeptieren, oder ist es nicht eher realitätsfremd, über den Anteil Konkreter Kunst, manifestiert von Hunderten von Künstlerinnen, Künstlern und Galerien nicht im Bilde zu sein? So kann man es halten. Doch es macht nachdenklich, dass sich heute die Kunst, die wie keine andere Richtung sich direkt mit der menschlichen Wahrnehmung auseinandersetzt, unter dem großen Gesetz der Ruhe und Bewegung vorbildliche Experimente unternimmt, oft in visueller Übereinstimmung mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, von der Mehrheit der Lebenden offensichtlich nicht erkannt wird.

Dass eine solche Distanz nicht immer bestand und es zur Gründung der Konkreten Kunst – es stehen verschiedene Daten zur Verfügung, ganz direkt befasste sich bekanntlich das Manifest von 1930 mit der Grundlegung – gar nicht gekommen wäre, wenn nicht eine engere Beziehung zu authentischen gesellschaftlichen Entwicklungen bzw. deren Vorstellungen virulent gewesen wären. Einzuschränken ist, dass die Entwicklung dieser Kunst wirklich nicht einspurig verlief, dass es immer wieder zu Abzweigungen von der Regel (ähnlich lautet der Titel einer Ausstellung) kam, dass sich der Begriff „konkret“ in anderen aktualisierten Begriffen verlor, dass auch eine philosophisch-ethische Begründung zunehmend als obsolet verstanden wurde.

Dessen ungeachtet ist bei der Beobachtung aller künstlerischen Prozesse, ihrer Wirkungen und Nebenwirkungen nicht zu übersehen, dass sich eine vielfältige Realität der konkreten Bildwelt erhalten hat und ganz selbstverständlich von immer neuen Generationen erprobt werden will. Dabei lässt sich die professionelle Differenzierung in die Bereiche Farbe, Farbfeld, Linie und Raum – aber auch oft deren Zusammenwirken – unterscheiden. Diese Professionalität des Machens und Konstruierens dürfte in der künstlerischen Produktion an sich die besondere Aufmerksamkeit beanspruchen.

Es spricht für die Begegnung mit Bildern von Ina von Jan, wenn es nötig schien, einmal generell auf die gestörte Akzeptanz der Konkreten Kunst hinzuweisen. Dagegen steht die Konsequenz, mit der diese Künstlerin seit über zwanzig Jahren an der Entwicklung der Konkreten Kunst arbeitet. Sie überzeugt im Einzelfall durch ihre Haltung und verspricht zukünftiges Potential der sich erneuernden Bewegung. Als vor einigen Jahren die erste Standortbeschreibung erforderlich wurde, war nicht nur allgemein an Ahnherren wie Max Bill und Richard Paul Lohse und deren damalige Galerie in den 40er Jahren zu erinnern, es war ganz besonders das Vorbild des Architekten und Malers Rudolf Ortner mit seiner weiterwirkenden Lehre aus der Bildwelt von Ina von Jan herauszulesen. Ortner wiederum fußte auf dem Studium am Bauhaus und der Bekanntschaft mit Kandinsky und Mies van der Rohe. Damit ist eine der folgenreichsten Linien der Konkreten Kunst vorgezeichnet. Anfänglich waren Stilmittel des Architekten wie rechtwinklige lineare Strukturen und ihre Beziehungen zu Flächen erkennbar. Und es dominierte die Farbe Blau vor Rot und teilweisem Gelb. Eine gute Schule der Ordnung mit Spielregeln war gegeben.

Mit wenigen Beispielen meldete sich aber an, was die Kunst von Ina von Jan heute bedeutet. Es gab da schon einige Bilder in leuchtendem Gelb. Nun wurden lineare Strukturen aufgegeben bzw. auf ein Minimum zurückgeführt zugunsten der Attraktivität der einen Farbe. Die Künstlerin:

Mein Interesse gilt der Erforschung der Farbwirkung, der Leuchtkraft und Farbintensität in unterschiedlichen Anordnungen und deren Umkehrungen.

Ina von Jan verwendet verschiedene Gelbtöne, die sich entweder durch Addition bei bis zu neun gleichen Bildern im quadratischen Format in der Wahrnehmung eindringlich festsetzen, oder sie bringt sie durch Wechselwirkungen zur Steigerung bzw. zu Besänftigung. Sie macht aufmerksam auf die Wirkung des Einzelbildes, indem sie durch dünne schwarze Rahmen das Gelb bricht und gleichzeitig steigert. Oft stellt sich dabei der Simultaneffekt ein, eine der besten Techniken der konkreten Farbmalerei. Dass sich alles im Quadrat abspielt, ist für eine Künstlerin, die sich wie Ina von Jan der Konkreten Kunst von Grund auf verpflichtet fühlt, keine Frage. Was sie bei minimaler Farbwahl erreichen will und was ihr auch durch hohe Konzentration gelingt, muss auf die neutrale Form des Quadrates setzen, die eben zum Beispiel auch die reihenweise Addition ermöglicht. Die Effekte der Steigerung durch innerbildliche Progression sind schlechterdings nur in dieser alten Kulturfigur der Geometrie möglich.

Die Künstlerin arbeitet in der Entwicklungslinie der konkreten Farbkunst, deren Maß – auch im Quadrat – durch die Interaktionen der Farbe von Josef Albers gesetzt wurde. Da zeigt sich gerade, wie sich im engen Rahmen einer Form und wenigen Farben Spannungen erzeugen lassen, die auf ungeahnte Differenzen subjektiver Empfindung beruhen. Solche Feinarbeit ohne Schatten und störendes Beiwerk ist nur der Konkreten Kunst möglich. Der innere Kreis, der oben angesprochen ist, in dem Ina von Jan ganz präsent ist, hat seinen Genuss an solchen künstlerischen Feinheiten. Der äußere Kreis sollte vermehrt darauf aufmerksam gemacht werden, liefert diese Kunst doch ästhetische Informationen aus erster Hand zur heutigen Lebenswelt.

© Eugen Gomringer. Mai 2010

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